Monday, May 22, 2023

Dr. Alfred de Zayas - Human Rights Corner

 

«Die chinesische Friedensinitiative ist pragmatisch und vernünftig»

alfreddezayas

Apr 27

«Der Plan entspricht Geist und Buchstabe des Völkerrechts»

Interview mit Prof. Dr. iur. et phil. Alfred de Zayas, Völkerrechtler und ehemaliger Uno-Mandatsträger

Prof. DrAlfred de Zayas (Bild zvg)

Zeitgeschehen im Fokus China wird von den USA verbal immer mehr attackiert. Worin sehen Sie die Ursachen?

Professor de Zayas Manche Politiker in den Vereinigten Staaten dulden keine Konkurrenz. Sie wollen die Nummer 1 in der Welt sein und auf Ewigkeit dort bleiben. Sie glauben an die Fantasie des Professors Francis Fukuyama in seinem dummen Buch «The End of History». Sie schauen mit Argwohn und Entsetzen, wie China zur ersten Wirtschaftsmacht in der Welt aufgestiegen ist. Sie leiden an Neid, Hybris, Selbstüberschätzung, Selbstgerechtigkeit. Sie meinen, immer Recht zu haben, und dass die Vereinigten Staaten eine heilige Mission hätten, Regeln für die ganze Welt zu setzen. Diese arrogante Haltung rächt sich. Die Chinesen wollen keinen Krieg mit den Vereinigten Staaten. Sie wollen Handel und freundschaftliche Beziehungen haben. Dies ist aber nicht möglich, wenn die eine Partei auf ihrer «moralischen Überlegenheit» beharrt.

Hier wird schlicht und einfach von vielen Politikern wie Biden, Blinken, Senator Lindsay Graham, vulgäre Sinophobie zum Ausdruck gebracht. Man diffamiert den vermeintlichen Gegner und verwendet die Diffamierung noch als Grundlage, feindliche Politik und feindliche Massnahmen zu ergreifen. Diese US-Politiker säen Hass gegen andere Menschen und andere Völker und verletzen dabei Artikel 20 des Paktes über bürgerliche und politische Rechte, der Anstiftung zum Hass verbietet. 

Die USA provozieren insbesondere im Fall Taiwans. Wie ist der völkerrechtliche Status von Taiwan?

Persönlich empfinde ich eine gewisse Sympathie für die Taiwan-Chinesen. Ich würde ihnen das Selbstbestimmungsrecht zuerkennen. Aber China sieht eine existentielle Gefahr, wenn Taiwan «unabhängig» würde, denn Taiwan würde nicht lange so bleiben können. Taiwan würde in eine Militärbasis der Vereinigten Staaten verwandelt werden. Die Situation ist ähnlich wie mit Tibet. Ich glaube auch an das Selbstbestimmungsrecht der Tibeter, aber – wie mir vor Jahren ein hoher chinesischer Diplomat offenbarte – in dem Augenblick, in dem sich China aus Tibet zurückzieht, werden die Amerikaner oder die Nato dort einziehen. (Ich nenne die Nato die «North Atlantic Terror Organization» – gewiss stellten die Drohnenangriffe auf Zivilisten in Afghanistan und im Irak Terror im völkerrechtlichen Sinn dar, auch die Verwendung von Waffen, die keinen Unterschied zwischen zivilen und militärischen Zielen machen können. Dies tun Nato-Staaten am laufendem Band.)

Seit Jahrzehnten führen die Vereinigten Staaten eine Politik der Einkreisung Chinas. Zwar wissen unsere Politiker nur wenig von der Geschichte und wissen nicht, was der Westen im 19. und 20. Jahrhundert angerichtet hat. Aber die Chinesen haben die Aggressionen des Westens im 19. und 20. Jahrhundert nicht vergessen – nicht die zwei Opiumkriege, den Raub Hongkongs durch Grossbritannien, die «Gunboat diplomacy» der Vereinigten Staaten, die Massaker an den Chinesen beim «Boxer-Aufstand», der Völkermord in Nanking durch die Japaner. Die Chinesen wissen, mit wem sie es zu tun haben. Sie wissen, dass den westlichen Staaten und ihren Verbündeten nicht zu trauen ist, dass sie regelmässig Verträge brechen und kein Wort halten. Deshalb wollen die Chinesen kein Risiko eingehen – weder in Taiwan noch in Tibet. Völkerrechtlich gesehen, gehören Taiwan und Tibet zu China, aber man muss auf alle Fälle jegliche Gewalt verhindern. Dies wird aber schwierig, wenn die Vereinigten Staaten ständig provozieren und versuchen, die Politiker Taiwans dazu zu bewegen, sich trotzig zu zeigen. Wenn es zu Gewalt kommen sollte  – dies wird im Artikel 2(4) der Uno-Charta verboten – wären die Vereinigten Staaten die Hauptschuldigen. Bedenken wir auch, dass eine Provokation eine Bedrohung beinhaltet. Artikel 2(4) der Uno-Charta verbietet nicht nur die Gewaltanwendung, sondern auch die Drohung.

Hier sehen wir eine Parallele zur Ukraine-Krise, wo die Vereinigten Staaten und die Nato ständig provoziert und sich geweigert haben, eine friedliche Lösung wie jene, die Russland im Dezember 2021 vorschlug, zu diskutieren.

China hat eine Friedensinitiative für ein Ende des Krieges in der Ukraine lanciert. Der Westen hat diese als russische Propaganda zurückgewiesen. Welchen Wert messen Sie der Initiative bei?

Der 12-Punkte-Plan der Chinesen ist in der Uno-Charta und in Uno-Resolutionen wohl verankert. Der Plan entspricht Geist und Buchstabe des Völkerrechts, insbesondere der Verpflichtung, Differenzen durch friedliche Mittel zu lösen – eine Verpflichtung zu Dialog und Kompromiss, die Notwendigkeit eines «quid pro quo». China hat seine Hilfe als Mediator angeboten, und neulich hat es sich in der Mediation zwischen Iran und Saudi-Arabien bewiesen. China, Brasilien, Mexiko und andere Staaten wollen einen Waffenstillstand und baldige Verhandlungen ermöglichen.

Als Schweizer Bürger seit 2017 denke ich oft an die Relevanz des Friedensgedankens des schweizerischen Schutzpatrons Niklaus von Flüe (1417 – 1487). Bereits 2013 pilgerte ich nach Flüeli-Ranft im Kanton Obwalden, besuchte Stans und Sarnen, wo Bruder Klaus in der Pfarrkirche zu Sachseln begraben liegt. Ihm verdanken wir das Stanser Verkommnis von 1481, das den Zerfall der Eidgenossenschaft verhinderte. Im Dezember 1481 begab sich der Pfarrer von Stans zu Niklaus und kam mit einem Rat vom Einsiedler zur Verhandlung zurück. Die Ratsherren traten wieder zusammen und kamen nach nur zwei Stunden zu einer Lösung. 

Die chinesische Friedensinitiative ist durchaus pragmatisch und vernünftig. Frieden machen bedeutet: keine Sieger, keine Besiegten, bedeutet ein «do, ut des», einen Kompromiss. Aber Biden, Blinken und Selenskij sprechen von «Victory». Diese Haltung verlängert den Krieg und verletzt dabei Artikel 2(3) der Uno-Charta. 

China wird vom Westen immer wieder wegen der Menschenrechtslage kritisiert. Ist die Kritik berechtigt?

Wir alle haben ein Interesse daran, die Realisierung der Uno-Menschenrechtspakte zu fördern. Dies geschieht aber nicht durch feindliche Kritik, sondern durch konstruktive Initiativen. Jedenfalls haben die Vereinigten Staaten keinerlei moralische Berechtigung, China zu kritisieren. Sie müssen zuerst vor der eigenen Haustür kehren. Die Geschichte der Vereinigten Staaten ist von Völkermord an den Autochtonen Crees, Cherokees, Dakotas, Mohawks, Navajos, Pueblos, Seminoles, Sioux, Squamish, von Sklavenhandel und Sklaverei, von Diskriminierung und Apartheidspolitik gegenüber der schwarzen Bevölkerung geprägt. Heute noch werden die Schwarzen in den Vereinigten Staaten benachteiligt. Nur die Schwarzen, die sich «anpassen», haben eine Hoffnung, Karriere zu machen.

Natürlich haben die Chinesen Menschenrechtsprobleme – wie auch Grossbritannien, Frankreich, Deutschland, Indien, Pakistan, Indonesien usw. China kooperiert mit dem Uno-Menschenrechtsrat, mit dem Büro des Hochkommissars für Menschenrechte und hat die Uno-Hochkommissarin Michelle Bachelet eingeladen, die im Mai 2022 China besuchte. Nun hat China Abermillionen Menschen aus der absoluten Armut geholt. China hat viele Verdienste, die man anerkennen muss.

Frau Bachelet hat doch einen Bericht über ihre Reise nach China publik gemacht. Was stand darin?

Bachelets Schlussbericht vom 28. Mai 2022 nach ihrer Mission in China war eigentlich ganz konstruktiv und ausgewogen. Meines Erachtens war ihre Mission ein grosser Erfolg. Sie war überall, auch in Xinjiang, hat mit etlichen Uiguren gesprochen, hat eine Arbeitsgruppe im Büro des Hochkommissars etabliert, um die Zusammenarbeit mit China besser zu koordinieren. Das Büro aber verfasste einen sogenannten Gegenbericht bzw. «Assessment», der genau das Gegenteil sagte, was Bachelet in Guanzhou deutlich und positiv festgestellt hatte. Ich habe sie seinerzeit dafür gelobt. Weil Bachelet das «Assessment» nicht verantworten wollte, hat sie es erst veröffentlicht, als sie am 31. August 2022 ihr Amt niederlegte. Bachelet war regelrecht von der Presse und von einigen westlichen Sonderberichterstattern gemobbt worden, denn man erwartete von ihr, dass sie China wegen des angeblichen Völkermords an den Uiguren verurteilen würde. Dies hat sie nicht getan, weil dort absolut kein Völkermord stattfindet oder stattgefunden hat. Sie hatte genug von der Hypokrisie der «Menschenrechtsindustrie» und ging nach Hause (Chile).  

Sie haben die Verdienste Chinas erwähnt, von denen in unseren Mainstream-Medien nie etwas zu lesen ist. Was sind das für Verdienste?

Im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte haben die Chinesen viel erreicht. Sie erfüllen die Verpflichtungen des Uno-Paktes über Wirtschaftliche Soziale und Kulturelle Rechte besser als die westlichen Staaten. Sie sorgen für das Recht auf Gesundheit und Pflege, das Recht auf Arbeit, das Recht auf freie Ausbildung. Sie bemühen sich um die «Sustainable Development Goals», sie helfen vielen Entwicklungsländer in Afrika und Asien – und vor allem – sie betreiben keine Kriegspolitik.

Ein Vorwurf, der immer wieder zu hören ist, lautet, dass China Grossmachtsambitionen hege und die Weltherrschaft übernehmen wolle. Stimmen Sie einem solchen Vorwurf zu?

China ist eine Grossmacht. Das ist ein Faktum. Aber China strebt keine Weltherrschaft an – anders als die Vereinigten Staaten. China hält sich an die Uno-Charta und sieht diese als eine Art Weltverfassung. Zunehmend nimmt China an den Debatten im Sicherheitsrat teil, in der Uno-Generalversammlung und im Uno-Menschenrechtsrat. Dies ist zu begrüssen. Ausserdem führt China eine konstruktive Politik in Asien und Afrika und Chinas «Belt and Road Initiative» hat einiges dazu beigetragen.

Inwieweit wurde im Uno-Menschenrechtsrat an China Kritik geübt?

Das tun die Vereinigten Staaten und die Europäer systematisch und seit langem. Keine Spur von Respekt, Ausgewogenheit oder irgendeinem konstruktiven Gedanken. Es geht um Konfrontation und Dämonisierung. Allerdings hat, wie man überall in der Welt beobachten kann – auch im Uno-Menschenrechtsrat – China zunehmend Freunde. Zum Beispiel scheiterte am 6. Oktober 2022 mit Pauken und Trompeten die zynische Resolution, die der Westen gegen China eingebracht hatte – wegen des sogenannten Genozids in Xinjiang. Zum Leidwesen der Amerikaner stimmten 19 Staaten dagegen und 11 enthielten sich der Stimme, trotz einer unglaublichen propagandistischen Aktion der Vereinigten Staaten und ihrer Vasallen – eingeschlossen einiger gekaufter NGOs. Dies zeigt, dass die «Global Majority» eher mit China als mit dem Westen ist. Die Zeiten ändern sich.

Aber nicht nur in der Uno scheitert der Westen, wenn es um China geht. Erstaunlicherweise haben die Politiker im Westen aus ihrer Erfolgslosigkeit nichts gelernt. Gerade in diesen Tagen mussten wir die Gehässigkeiten der G-7 in Nagano, Japan, hören. Der Westen ist auf dem besten Wege, sich selbst zu isolieren, denkt man nur an die Belt and Road Initiative, in welcher bereits 150 Staaten mitmachen. Wenn der Westen sich weiterhin so unfreundlich benimmt, entscheidet Xi Jinping vielleicht, bestimmte Exporte an den Westen zu stoppen, zum Beispiel die der  Seltenen Erden. In der Tat hat China bei Seltenen Erden ein Marktmonopol. Manche in Deutschland haben mit Sorge bemerkt, dass die deutsche Wirtschaft gewissermassen auf Lieferungen aus China angewiesen ist. 

Werden die Chinesen die Lieferungen stoppen? 

Vorerst nicht. Die Chinesen haben bisher dieses Marktmonopol nicht zur Erpressung missbraucht. Aber wenn wir im Westen weiterhin so gehässig sind, dann wird China früher oder später die logischen Konsequenzen ziehen.

Spielt der Westen nicht ständig mit dem Feuer in der arroganten Überzeugung, dass er der Mittelpunkt der Erde sei?

Die Politiker in Washington, Ottawa, London, Paris, Berlin repräsentieren nicht die Bevölkerung. Sie sind eine «Clique», die von der Realität der Welt kaum etwas versteht. Hybris und Willkür regieren. Der «Westen» ist eine Minderheit in der Welt und versucht, seine Machtposition durch Gewalt und Bedrohung aufrechtzuerhalten. Dies ist gefährlich. Wir sind lange nicht mehr der Mittelpunkt der Erde, und es ist höchste Zeit, dass unsere Politiker dies verstehen, um das Vernünftigste daraus zu machen. 

Was braucht es, damit der Westen unter der Führung der USA nicht auch noch China in einen Krieg treibt?

Leute wie Anthony Blinken und Victoria Nuland waren immer Kriegstreiber. Sie werden von den vielen Kriegs-Lobbyisten unterstützt. Und so bekommen wir immer grössere Kriegshaushalte. Das System ist durch und durch korrupt, und die Grossen und Kleinen der Kriegsindustrie verdienen Milliarden. Die Waffenlieferanten wie Lockheed Martin, Boeing, Raytheon und andere sind mit dabei. Es sind eben diese Herrschaften, die die amerikanische Politik bestimmen.

Um eine weitere Eskalation zu verhindern, müssen die Europäer einen Stopp setzen. Emmanuel Macron hat verlangt, von den USA unabhängiger zu werden. Das ist der richtige Ansatz. Wenn Europa – zumindest ein paar Staaten wie Frankreich, Deutschland und Italien – aus der Kriegspolitik ausstiegen, hätte das auf die anderen Staaten eine Auswirkung. Das Gleiche wäre im Ukraine-Krieg nötig gewesen. Es ist zu hoffen, dass endlich Vernunft einkehrt und die Europäer sich der US-amerikanischen und britischen Kriegstreiberei widersetzen. Dann hätte der Frieden eine echte Chance. Es sieht zwar nicht so aus, aber wenn Frankreich konsequent eine andere Position vertritt, könnte das Sig­nalwirkung haben. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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